Eine Möglichkeit, was Anwälte für sich tun können
Anwaltscoaching: Zum Gestalten Wirklichkeit(en) sichten Autor Rechtsanwalt Michael Stein, Lehrte/Hannover Die Kanzlei, Ausgabe 04/2002
Ist das wirklich so? Der Anwalt muß Unternehmer sein Der Anwalt muß Dienstleister sein Der Anwalt muß Konfliktmanager sein Der Anwalt muß Kommunikator sein Der Anwalt muß Selbstmanagement beherrschen Der Anwalt muß ein (guter) Ehemann, Vater, Sohn ... sein Der Anwalt muß Anwalt sein Der Anwalt muß ...
Herausforderungen für den Anwalt
Zugegeben, die Welt ändert sich mit hoher Geschwindigkeit. Auch bei uns Anwälten. Rechtsanwalt sein, heißt in den meisten Fällen nicht mehr per se, gute juristische Arbeit zu leisten und dadurch gutes Einkommen zu erzielen. Selbst wenn dies im Augenblick der Fall ist, zweifeln wir an dem Einsatz, den wir dafür erbringen müssen - und an unserer Zukunft. Wir alle spüren zunehmende Unsicherheit. Der ein oder andere vielleicht sogar Angst.
Jedes Jahr kommen neue junge Kollegen dazu, die auf Grund der “späten Geburt” scheinbar besser für die Herausforderungen in unserem Beruf gewappnet sind: Sie leben EDV, wir haben uns dies erarbeitet. Sie haben - oft schon an der Uni - gelernt zu akquirieren, wir müssen “innere Schweinehunde” dafür überwinden. Sie achten auf ihre Kommunikation, wir haben gelernt “hart” zu verhandeln. ...
Oft hat unser Büro eine Größe erreicht, die uns intensiv Umsatzdruck spüren läßt. Diesen Druck merken auch unsere Mandanten - und suchen das Gespräch über unser Honorar. Die BRAGO ist nicht mehr sakrosant. Es gibt Wettbewerb über den Preis - auch bei den Stundenverrechnungsätzen. Nicht nur der Umsatz, auch die Kosten drücken uns. Kosten sparen - wie und wo? Bei den Mitarbeitern? Deren Führung wird immer komplizierter. Es macht Sinn, daß wir Aufgaben delegieren. Dies erfordert gegenseitiges Vertrauen und Verstehen - wir benötigen also Zeit für Gespräche.
Wie sollen wir auf unsere Herausforderungen reagieren? Welches Verhalten, welche Verhaltensänderungen sind erforderlich?
- Die Herausforderung ignorieren? Motto: Qualität setzt sich durch. Es wird schon werden.
- Sich von Experten bearten lassen, Seminare besuchen? Motto: andere werden die Lösung für mich kennen.
- Resignieren? Motto: ich betreibe das Büro, solange es geht.
Dies sind alles probate, für den einzelnen Anwalt erfolgreiche Möglichkeiten auf seine Herausforderungen zu reagieren. Ich schlage dem Anwaltskollegen, der sich von mir coachen läßt, einen weiteren Weg vor.
Verständnis erarbeiten
Ein konkreter, aber anonymisierter Fall: Im Coachingtermin schildert mir ein Kollege seine Situation. Ich höre zu und frage nach. Durch Spiegeln seiner Aussagen stelle ich sicher, daß ich ihn richtig verstanden habe: Die Zusammenarbeit mit seinem älteren Sozius sei erheblich gestört. Dieser “ruhe sich auf seinen Lorbeeren aus”. Sicher, er habe das Büro aufgebaut. Auch habe die Kanzlei durch den Sozius sehr lukrative Mandate. Das entscheidende sei aber, daß er fast keine Sachbearbeitung mehr mache. Der Sozius beschränke sich annähernd ausschließlich auf die “Honneurs”. Allenfalls mache er ab und zu mal eine Strafsache. Selbst dabei, so vermutet der Kollege, beschränke er sein Aktenstudium “dramatisch”. Auch bei den Strafsachen lebe er von seinem Ruf. Im Gegensatz dazu müsse er die gesamte Arbeit erledigen. Bei Beginn der Sozietät sei dies in Ordnung gewesen. Er habe ja zunächst seinen eigenen Ruf erarbeiten müssen. Auch habe sich der Sozius damals um die Geschäfts- und die Personalführung im Büro gekümmert. Diese Aufgaben seien ihm auch zwischenzeitlich übertragen worden. Aufgrund seiner Arbeitsbelastung arbeite er nunmehr täglich 13 - 14 Stunden sechs Tage die Woche. Bei dringenden Fristsachen sogar sonntags. Diese Belastung wirke sich nicht nur familiär aus. Auch die Qualität seiner Arbeit habe deutlich gelitten. Gegenüber den Mitarbeitern reagiere er bei Fehlern immer öfter unbeherrscht. Bisher habe er dies alles wegen der außerordentlichen hohen Gewinnentnahmen hingenommen. Er habe ein entsprechendes Haus gekauft, sei in der Vergangenheit mit seiner Familie in sehr teure Urlaube gefahren. Auch sonst hätten sich seine Familie und er sich so manches gegönnt.
Der Kollege sieht nun alles in Frage gestellt. Ein wichtiges Unternehmen habe gerade das Mandat entzogen. Der neue Leiter der Rechtsabteilung habe, wie der Kollege meint, aus fadenscheinigen Gründen die Zusammenarbeit beendet. Er vermutete, daß der Rechtsabteilungsleiter einem befreundeten Anwalt das Mandat verschafft habe. Dieser Vorfall habe ihn sehr verunsichert. Ihm sei bewußt geworden, daß der große wirtschaftliche Erfolg der Kanzlei “auf tönernden Füße” stehe. Er sehe die Gefahr, daß nach und nach die älteren Geschäftspartner des Sozius bei den wichtigen Mandanten durch jüngere ersetzt werden würden. Die jüngeren Führungskräfte würden dann wohl eher gleichaltrige Anwälte suchen. Auf diese Art und Weise könnte die gesamte wirtschaftliche Basis der Kanzlei wegbrechen.
Ich frage den Kollegen, warum er eigentlich morgens ins Büro gehe. Diese Frage verärgert ihn zunächst. Doch dann entwickelt er drei Gründe: er benötige die hohen Einkünfte, um die monatlichen Raten für das Haus, die Lebensversicherungen und den Lebensstandard der Familie zu finanzieren. Weiterhin gefalle ihm die Reputation, die er als Partner dieses Büros bei den Mandanten, Gerichten und Kollegen habe. Schließlich mache ihm die Bearbeitung dieser Art Mandate Spaß. Der letzte Grund überrascht ihn. Eigentlich habe er, bis er dies ausgesprochen habe, vermutet, daß er seine Arbeit nicht besonders möge. Das weitere Gespräch erbringt sogar, daß der Spaß an der Arbeit sein wichtigster Grund, sein eigentlicher Antrieb ist.
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