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Der gecoachte Anwalt
ANWALT mit NJW-COR 07/2001 Autor Michael Stein Mental befreit durch Alternativen
Als Anwalt muss man so manches Problem im beruflichen Alltag bewältigen. Dabei stellt sich immer wieder die Frage nach dem “wie”. Ein Coach kann da sehr hilfreich sein.
Es ist Freitag, 19.30 Uhr. Rechtsanwalt und Notar Martin Kern sitzt im Büro an seinem Schreibtisch. Er muss sich entscheiden: Hört er jetzt zu arbeiten auf, schafft er es noch rechtzeitig nach Hause, um den Freitagskrimi zu sehen. Wenn er allerdings eine weitere Stunde in der Kanzlei verbringt, kann er bereits mit der Berufung Slodowski GmbH gegen Nordhagen beginnen. Die Sache ist kompliziert. Allerdings hat Slodowski die letzten Rechnungen immer noch nicht bezahlt. Seit fünf Monaten - insgesamt stehen DM 35.000,00 aus. Dabei sieht es auf dem Konto im Augenblick eh nicht besonders rosig aus. Anwalt Kern ist hin und her gerissen: Bleibt er oder geht er?
Berufssportler haben einen Coach, viele Unternehmensführer auch. Bei Sportlern ist es offensichtlich: Der Coach unterstützt sie beim Training, bei Wettkämpfen und mental. Vorstände und Geschäftsführer arbeiten mit einem Coach, um ihre Arbeit zu reflektieren. “Nur die wirklich kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Arbeit schafft Impulse für eine sich immer wieder erneuernde Unternehmensführung - und führt auch zu einer inneren Balance“, sagt Infinneon-Chef Schumacher in einem Interview im “managermagazin”. Coaches helfen Sportlern und Unternehmensführern, ihre Arbeit besser zu machen und das innere Gleichgewicht zu finden.
Keine Tipps und Tricks
Kollege Kern hat erfahren, daß ich Anwälte coache. Er ruft mich gleich am Montag an und fragt, ob ich ihm helfen könne. Sicherlich hätte ich ja ein paar Rezepte für den Alltag parat - wie Selbstmanagement, Zeitmanagement und Kostenkontrolle. Ich habe nichts von alledem im Angebot, weder Ratschläge noch “Tricks”. Rechtsanwalt Kern ist enttäuscht. Dass es auch nicht um die Analyse seiner Situation oder seiner Person geht, überrascht ihn zusätzlich.
Ich zitiere häufig Heraklits Metapher “man kann nicht zweimal im selben Fluß baden” (weil es immer wieder anderes Wasser ist, das vorbeifließt). Tricks, Ratschläge und Bewertungen beruhen auf ganz spezifisches, vergangenen Situationen, die so nicht wieder eintreten. Fremde Erfahrungen, auch wenn sie genau den gleichen Problemkreis betreffen, sind für andere nicht wirklich hilfreich. Sie werden der jeweiligen komplexen persönlichen Situation nicht gerecht. Wer das Problem hat, ist zugleich der eigentliche Experte für dessen Lösung: ihm allein stehen uneingeschränkt alle Details der konkreten Situation zur Verfügung. Nur er allein weiß, worauf es ihm ankommt. Nach einem längeren Telefonat entschließt sich Kollege Kern zu einem zweistündigen Probecoaching. Er sieht die Investition. Er sieht die Investition von 800 DM als kalkulierbares Risiko.
Verständnis hilft weiter
Bei unserem Treffen berichtet Kern über seine berufliche Situation. Ich höre zu und stelle Fragen. Durch Spiegeln seiner Aussagen stelle ich sicher, dass ich ihn richtig verstanden habe: Ständig erhalte er neue Mandate von der Slodowski GmbH, dabei seien noch alte Rechnungen offen. Er hoffe darauf, dass sich die Firma aufgrund seiner guten Arbeit endlich entschließt, die offenen Rechnungen zu zahlen. Die nicht gerade geringen Notarkostennoten würden sie ja schließlich auch schnell zahlen. Der anspruchsvolle Geschäftsführer Slodowski bringe ihn zudem ständig dazu, besonders umfangreiche Schriftsätze zu verfassen. Verärgern könne er diesen wichtigen Mandanten auch deshalb nicht, weil Slodowski ein wichtiger Mann in der Industrie- und Handelskammer sei. Von dort habe er schon den einen oder anderen Mandanten erhalten. Er hoffe auf mehr. Der Druck habe sich seit kurzem erhöht. Slodowski habe in der Sache gegen Nordhagen so merkwürdige Fragen gestellt. Kern habe das Gefühl, Slodowski zweifele seine Kompetenz an.
Klarheit gewinnen
Ich frage ihn, wieviel Prozent seiner Arbeitszeit er wöchentlich für die Slodowski GmbH aufwende und welchen Stundensatz er mit diesem Mandanten erziele. Diese Fragen verärgern ihn. Ich spiegele seine Aussagen und seinen Ärger. Kern bemerkt dabei, dass ihm das Verhältnis von Einsatz und Ertrag generell wichtig ist. Dieses Verhältnis sei bei dem Mandanten Slodowski empfindlich gestört. Er beute sich damit selbst aus.
Auf meine Fragen hin entwickelt Kollege Kern Alternativen zu seinem bisherigen Verhalten im Mandat Slodowski. Er spricht die Beendigung des Mandats und die schriftliche Anmahnung der Zahlungsrückstände unter Fristsetzung an. Außerdem überlegt er, wie sich die Beziehung zur Industrie- und Handelskammer ohne Slodowski sichern lässt. Die Möglichkeit eines Regresses will er durch einen Studienfreund, der in einer anderen Stadt als Anwalt tätig ist, prüfen lassen. Schließlich erwägt er, das von ihm empfundene Missverhältnis zwischen Arbeitsaufwand und Ertrag Slodowski gegenüber offen anzusprechen. Dabei fällt ihm auf, dass er noch nie näheren Kontakt zu seinem wichtigsten Mandanten aufgenommen hat. Er denkt laut, Slodowski zu einem Abendessen in ein Restaurant einzuladen. So etwas habe er noch nie mit einem Mandanten gemacht. Irgendwie sei ihm das auch unheimlich. Die Ideen sprudeln nur so aus ihm heraus. Und schon sind vereinbarten zwei Probestunden um.
Ärger mit dem Personal
Lange Zeit höre ich nichts mehr vom Kollegen Kern. Doch eines Tages ruft er wieder an und bittet um einen Coachingtermin. Es seien massive Schwierigkeiten unter den Mitarbeiterinnen aufgetreten. Er habe das Gefühl, seine Mitarbeiterinnen machten “Dienst nach Vorschrift”. Des öfteren seien am Abend Diktatbänder liegengeblieben und Mandantenanrufe würden ihm manchmal gar nicht mitgeteilt. Zudem seien in letzter Zeit seine Mitarbeiterinnen öfter krank. Wir verabreden einen Halbtagstermin. Am Anfang des Coachingtermins berichtet Kern, dass er im Anschluß an unseren Probetermin entschieden habe, sich weitere Coachingtermine nicht leisten zu wollen. Über seine Probleme nachdenken könne er auch allein. Dafür müsse er nicht 400 DM pro Stunde bezahlen. Später habe er gemerkt, dass das doch nicht so einfach sei. Es sei doch etwas anderes, ob man den Gedanken durch lautes Aussprechen tatsächlich formuliert oder “einfach nur vor sich hindenke”. Die gegenüber einem anderen ausgesprochenen Gedanken seien realer und damit verbindlicher. Man müsse dann mit ihnen zurechtkommen. Er habe versucht, über die beruflichen Fragen mit seinem besten Freund zu sprechen. Das Ergebnis habe ihn auch nicht so recht befriedigt. Dieser sei sehr schnell mit Ratschlägen gekommen. Dass ich mich darauf beschränkt hatte, seine Sicht durch Zuhören und Fragen zu verstehen, habe ihm dagegen sehr geholfen. So habe er seine eigene Lösung erarbeitet. Seine Idee des Abendessens mit Slodowski sei ein voller Erfolg gewesen. Zwar habe es noch einige Zeit gedauert, bis er die Einladung ausgesprochen habe. An dem Abend sei es dann aber ganz prima gelaufen. Die Rechnungen seien bezahlt, das Mandat auf eine solide und auch persönliche Basis gestellt.
“Verstehen Sie, ich sehe dasselbe wie Sie, ich habe mir nur angewöhnt, das auch zu beachten, was ich sehe.” Der Hinweis, den Sherlock Holmes Dr. Watson gibt, bringt das Problem von Entscheidungsfindungen auf den Punkt. Selbstverständlich hatte Anwalt Kern schon vor dem Gespräch die unausgewogene Situation im Mandat Slodowski gesehen und mit Unbehagen registriert. Aber er hatte sie nicht beachtet oder nicht für wahr genommen. Seine Selbstausbeutung bezüglich dieses Mandats war für ihn nicht realistisch. Erst nachdem er mir die Situation “laut” erklärt hatte, wurde sie ihm klar. Jetzt konnte er sie beachten. So konnten kreative Lösungsmöglichkeiten entstehen.
Die Wirklichkeit erkennen
Klaus Woltron - bis 1994 Generaldirektor der Asea Brown Boveri Austria - sagt im “managermagazin”: “Allein die Sichtbarkeit von Alternativen schafft mitunter eine mentale Befreiung.” Darum geht es im Coaching: In einer wettbewerbsfreien Umgebung wird sich der gecoachte Anwalt seiner Realität bewusst. Er entwickelt Verständnis für diese Ausgangsposition und erarbeitet mit dem berufszugehörigen Coach Handlungsoptionen. Das Ergebnis: Der Anwalt wird durch die erarbeiteten Möglichkeiten flexibler und gewinnt dadurch seine Handlungsfähigkeit zurück. Er trifft seine Entscheidung und findet dabei seine eigene Lösung, die genau zu seiner persönlichen Situation passt.
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